Das epische Erzähler-Video: Produktion und filmische Ausdrucksformen im Vergleich (II)

Teil I dieses Blog-Beitrags endete mit der Frage, ob Botschaft des Islam in „Er verkaufte seinen Glauben“ (19.3.2015) den gleichen filmischen Ausdruck wie das Lehrbeispiels aus der Merciful Servant-Vorlage „I Almost Sold My Religion For 20 Pence“ (8.1.2015) wählt. Die Frage zielt auf eine Einsicht in das Ausmaß der Inspiration, die die englische Vorlage den deutschen „Nachzüglern“ gewährt haben mag. Die Produzenten beider Videos widmen sich zwar demselben Thema, denken jedoch deutlich auf unterschiedliche Art und Weise über den filmischen Ausdruck nach, den sie für ihre aufgezeichneten Reden einsetzen. Weicht etwa die Ausdrucksform der Videos voneinander ab, könnte dies ein Argument dafür sein, dass die deutschen Produzenten sich thematisch bei den englischen Produzenten inspirieren lassen und gleichzeitig ihren filmisch-formalen Prinzipien vor allem auf der strukturellen Ebene des Schnitts und der Kombination von Bild und Ton folgen.

Gehen wir vom Beispielvideo „Er verkaufte seinen Glauben aus: Die deutsche Version des „reisenden-Imam-Exempels“ orientiert sich sprachlich zwar an der (vermeintlichen) Vorlage, ist dafür jedoch bemüht, möglichst viele Aufnahmen einer Busfahrt zu zeigen, um die Erzählung zu illustrieren. Dieses Verfahren dient durchaus der Veranschaulichung, da der Ort der Erzählung konkretisiert wird („die Geschichte spielt nun einmal in einem Reisebus“).  Die englische Vorlage „I Almost Sold My Religion For 20 Pence“ eröffnet dagegen zwar mit Luftaufnahmen von Straßenverkehr bei Tag und Nacht, das heißt die Bildebene eröffnet scheinbar ebenso konkret wie die des deutschen Videos, sie zeigt dann aber Bilder von Fabriken, Berggipfeln und der Erde, die sich nicht dem Reisebus als Ort der Erzählung zuordnen lassen. Aus filmpraktischer Sicht könnte im Fall der englischen Vorlage ganz einfach „kein (passendes) Illustrationsmaterial zur Verfügung gestanden haben“ und im Gegenzug mögen die deutschen Nachzügler „die Gelegenheit nutzen“, das Gesagte noch einmal anders zu imaginieren. Beides liegt im Bereich des Möglichen, doch es erklärt nicht den Unterschied der filmischen Ausdrücke: Merciful Servant, die das ursprüngliche Video produziert haben, konzipieren ihren filmischen Ausdruck erkennbar anders. Ihr Video über den reisenden Imam ist nämlich nicht durchgängig an der konkreten Rede orientiert, sondern abstrahiert auf der Bildebene aus dem Erzählten. Was hat also der Berggipfel mit dem Beispiel des Imam zu tun, der wegen 20 Pence von Gewissensbissen geplagt wird?

Headline

ortwörtlich übersetzt, dennoch dasselbe Erzählmoment, unterschiedlich illustriert: Links eine mit Lichteffekten verfremdete Aufnahme einer Busfahrt (Botschaft des Islam) konkretisiert den Erzähl-Raum. Rechts ein Berggipfel (Merciful Servant), der durch seinen abstrakten Gehalt eine Ausdrucksebene sowohl für den Höhepunkt des dramatischen Baus des Exempels als auch für die Zuspitzung des inneren Konflikts des Imams schafft.