Level Up! Promising Practices: streetwork@online
29.1.2024Interview mit dem Projektteam
Ihr betreibt in eurem Projekt streetwork@online digital streetwork – das bedeutet, in sozialen Netzwerken auf insbesondere junge Menschen zuzugehen. Wie geht ihr dabei vor? Welche Strategie des digital streetwork hat sich bisher am meisten bewährt
streetwork@online: Ganz genau, wir führen aufsuchende Sozialarbeit auf den wichtigsten Social-Media-Plattformen und Messenger-Diensten durch. Dabei suchen wir aktiv den Kontakt zu einer vielfältigen Gruppe von Menschen – viele von ihnen sind jung, was auch damit zu tun hat, dass bestimmte soziale Netzwerke wie TikTok, Instagram oder Discord zunehmend von jungen Menschen genutzt werden.
Unser interdisziplinäres Team von Online-Streetworker:innen geht in der Regel so vor, dass sie sich mit dem Handy, Tablet oder Computer in Social-Media-Plattformen einloggen und dort ein Screening von relevanten Gruppen, Kanälen oder Profilen durchführen. Diese Gruppen wurden zuvor von unserer wissenschaftlichen Begleitung nach bestimmten Indikatoren ausgewählt.
Besonders genau schauen sich die Kolleg:innen dann die Kommentarspalten an. Dort antworten sie entweder direkt oder im Einzelchat auf Kommentare, die sich beispielsweise gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder Menschengruppen richten, oder sie stellen die richtigen Fragen, wenn sehr dogmatische Vorstellungen von Religion propagiert werden. Gleichzeitig reagieren sie auch auf Kommentare, bei denen möglicherweise erkennbar ist, dass es der Person dahinter, im Moment des Verfassens, nicht so gut ging.
Zu den Methoden, wie wir uns den Personen nähern, zählen ein machtsensibler Ansatz, gewaltfreie Kommunikation und systemische Fragen. Damit möchten wir unserem Gegenüber auf Augenhöhe begegnen und einen Raum zum Austausch schaffen, und das gelingt uns in der Regel ziemlich gut!
Wird euer Angebot von eurer Zielgruppe gut angenommen? Bzw. welche Zielgruppe ist in dieser Hinsicht offener als andere?
streetwork@online: Ja, wie gerade erwähnt, kommt das Angebot scheinbar sehr gut an! Es ist manchmal schwierig, die Zufriedenheit zu messen oder den Erfolg zu quantifizieren, insbesondere wenn die Arbeit nicht face-to-face stattfindet. Dennoch haben wir regelmäßig positives Feedback, sowohl von unseren direkten Dialogpartner:innen als auch von anderen User:innen in den Kommentarspalten.
Es kommt natürlich auch vor, dass wir auf Begegnungen stoßen, die nicht zielführend sind oder bei denen es nicht zu einem fruchtbaren Austausch kommt. Doch selbst in solchen Fällen ist es uns zumindest gelungen, ein Gegennarrativ in der Online-Welt zu
platzieren, das hoffentlich von anderen Personen gelesen wird. So können wir auch ein Zeichen für Demokratie, Dialog und Toleranz setzen.
Unser Angebot scheint besonders gut in größeren Gruppen oder Communities anzukommen. Es gestaltet sich jedoch schwieriger bei kleinen Telegram- oder WhatsApp-Gruppen, wo sich bereits radikalisierte Personen befinden oder wo es auch viel Misstrauen gibt. Aber selbst hier soll es nicht unmöglich sein!
Ihr habt euer digital streetwork auf Discord und Telegram ausgeweitet. Welche Unterschiede konntet ihr bisher feststellen im Gegensatz zu gängigeren Social Media Plattformen wie bspw. Instagram (notwendige Herangehensweise, Dynamiken, Netzwerke etc.)?
streetwork@online: Das versuchen wir gerade selbst herauszufinden! Einer der größten Unterschiede besteht darin, wie diese Plattformen strukturiert sind. Im Gegensatz zu Facebook oder Instagram, die in der realen Welt eher einem öffentlichen Platz ähneln würden, gleichen diese Plattformen eher geschlossenen, privaten Räumen. Manche User:innen bestimmen, wer hereindarf oder nicht. Das verkompliziert unsere Arbeit, da wir nicht einfach diesen „Platz“ betreten können: Nicht jeder hat Zugang und manche haben ihn zwar, dürfen sich jedoch nicht beteiligen. Transparenz, welche für uns einen wichtigen Stellenwert hat, kann im ersten Moment hinderlich wirken, ermöglicht aber auch, ein direktes Gesprächsangebot als Online-Streetworker:innen in einem kleineren Kreis anbieten zu können und die Menschen so niedrigschwellig dort abzuholen, wo sie ihre Rückzugsräume finden. Natürlich gibt es auch auf Facebook geschlossene Gruppen, denen man nur mit Zustimmung der Admins beitreten darf; jedoch sind sie nicht so exklusiv. In den geschlossenen Räumen auf Discord oder Telegram – diese Bubbles oder Echokammern – kann sich die bereits erwähnte Hinwendung zum Extremismus bei den Menschen verfestigen und schneller voranschreiten, unter anderem, weil es möglicherweise keine Stimmen gibt, die ein Gegen-Narrativ anbieten.
Wahrscheinlich gibt es auch immer mal weniger schöne Begegnungen online, wie geht ihr damit um?
streetwork@online: Unschöne Begegnungen sind leider auch ein Teil unserer Arbeit, da habt ihr recht. Dabei ist es wichtig, dass wir einerseits auf die jeweilige Person und ihre Bedürfnisse achten und versuchen, weiterhin eine Stütze für sie zu sein. Andererseits müssen wir darauf achten, unsere eigene mentale Hygiene und Sicherheit zu bewahren. Um das erste Ziel zu erreichen, greifen wir auf bereits angesprochene Methoden zurück, wie Gewaltfreie Kommunikation und systemische Beratungstechniken. Natürlich sind aber auch abrupte Gesprächsenden in den online Kontexten aus diversen Gründen möglich, dessen muss man sich einfach bewusst sein und es auch akzeptieren, dass nicht immer ein Gespräch gewünscht ist, oder man nicht genau weiß, wie die angebotene Unterstützung aufgefasst wurde. Das interne Wohlbefinden des Teams wird durch regelmäßigen Austausch untereinander und gegebenenfalls durch die Einbeziehung externer Expertinnen und Supervisionen gewährleistet.
Haben sich im Laufe der Zeit Communities herausgebildet, mit denen ihr regelmäßig in Kontakt steht und im Gegenzug auch welche, die ihr eher meidet (besonders auf Telegram)?
streetwork@online: Das ist auch eine sehr gute Frage! – und eine, die sich nicht so einfach beantworten lässt. Wie bereits erwähnt, ist die Resonanz auf unsere Arbeit bisher überwiegend positiv – aber nicht ausschließlich. Wir haben zum Beispiel intensive
Auseinandersetzungen mit bekannten Predigern erlebt, die nicht mit unseren Ansichten einverstanden waren. Zeitweise wurden wir auch von bekannten Seiten gesperrt, und unsere eigenen Beiträge erhalten manchmal Troll-Kommentare von Bots oder entsetzten User:innen.
Unser Ziel bleibt es jedoch, unseren demokratiefördernden Ansatz überall zu verbreiten, wo wir das Gefühl haben, dass Demokratie und Menschenrechte in Frage gestellt werden und ein Angebot zur Ambiguitätstoleranz hilfreich sein könnte. Selbst wenn es Gruppen gibt, die uns vorübergehend ausschließen, oder wenn es bestimmte Kanäle gibt, an die wir uns nur mit großer Vorsicht, Geduld und einem soliden Sicherheitskonzept nähern können.
Die gute Nachricht ist, dass unsere Community stetig wächst: Im Jahr 2023 konnten wir ein Wachstum von 25% in unserer Follower:innen-Zahl auf Instagram verzeichnen. Auf unsere Kommentare wird zunehmend reagiert, wir konnten im 1-zu-1-Gespräch gute Beziehungen zu einigen User:innen aufbauen und zielgerechte Hilfsangebote stellen, und unsere Online-Streetworker:innen-Profile werden bereits als Teil eines größeren Akteurs erkannt. Und trotz der wachsenden Bekanntheit haben die großen Akteure uns nicht auf dem Kicker – das verbuchen wir dank unserem transparenten Ansatz auf Augenhöhe auch als Erfolg im digitalen Präventionsbereich. All diese Anzeichen deuten darauf hin, dass sich streetwork@online als ein bedeutender Akteur in den digitalen Straßen etabliert hat, um demokratieförderndes Empowerment, Unterstützung in vielen Lebenslagen und ein paar humorvolle Memes anzubieten.