Level Up! Promising Practices: Interventionsprojekt „Echt jetzt?!“

Interview mit Mathias (Distanz e. V.)

In eurem Projekt „Echt Jetzt?!“ geht es um einen aufklärenden Umgang mit Verschwörungserzählungen. In der ersten Phase sollen Jugendliche eigene Verschwörungserzählungen erfinden und in der zweiten Phase stellt ihr die Geschichten einem breiten Online-Publikum vor . Ziel ist es, möglichst viele Menschen zu erreichen und für solche Mythen kritisch zu sensibilisieren. Was waren die lustigsten/interessantesten Narrative, die sich die Jugendlichen ausgedacht haben (natürlich anonym und nur ganz grob formuliert)?

Mathias: Unsere Workshopteilnehmenden hatten bisher wirklich sehr viele originelle, kreative und äußerst verschwörerische Ideen! Einige Geschichten waren total verrückt, andere haben täuschend „echt“ gewirkt. Wusstet ihr beispielsweise, dass die Regierung angeblich Satelliten ins All schießt, um unsere Gedanken zu manipulieren? Oder dass die Bundesgartenschau eigentlich der teuflische Plan eines bösen Wissenschaftlers ist, welcher die Menschheit mit genmanipulierten Giftpflanzen auslöschen möchte? Oder noch schockierender: Eine geheime Elite in der Zukunft Zeitreisen erfunden hat und seit her die Geschichte gezielt für ihre Zwecke lenkt? Wie sonst ließen sich all die Krisen erklären! Ihr seht also, der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt – und wer sich alle Stories anschauen möchte, kann sie auf unserem Instagram Profil finden.

Wie reagieren die Jugendlichen, wenn man sie auf das Thema Verschwörungserzählungen anspricht? Können sie bereits Erfahrungen teilen? Gab es vielleicht Aha-Momente?

Mathias: Die meisten sind sehr interessiert und wollen mehr darüber wissen. Der individuelle Erfahrungsstand ist dabei aber sehr unterschiedlich. Viele hatten „nur mal oberflächlich was gehört“, aber einige hatten auch schon intensiveren Kontakt und kennen konkrete Beispiele. Das zeigt uns, dass wir in dieser Altersgruppe richtig liegen. Denn über kurz oder lang ist der Kontakt mit Verschwörungsmythen praktisch unvermeidlich. Deshalb beschäftigen wir uns bereits frühzeitig nicht nur mit den Inhalten, sondern eben auch mit den dahinter hinter liegenden, manipulativen Tricks von Verschwörungsmythen. Das finden die meisten Teilnehmenden sehr spannend, erkennen aber auch die Gefahren darin.
Was mich dabei optimistisch macht, ist der Eindruck, dass der Großteil der Jugendlichen eine kritische, skeptische Haltung gegenüber den meisten Verschwörungserzählungen hat. Sie können deshalb auch oft kaum glauben, wie tief Menschen ins „Rabbit Hole“ abtauchen und sich durch die Fake-Stories radikalisieren können. Das sind wertvolle, augenöffnende Aha-Momente!
Diese Grund-Resilienz wollen wir nachhaltig stärken und die jungen Menschen in ihrer kritischen Haltung fördern. Dieses Empowerment ist sehr wichtig, denn nicht selten sind sie ziemlichem Druck ausgesetzt, Verschwörungserzählungen zumindest nach außen hin zuzustimmen. Der kommt oft aus dem Umfeld, wie etwa Familie und Freunde. Hier sind eine klare Haltung und präventive Aufklärung wichtig – durch Projekte wie uns, aber vor allem auch durch die Jugend- und Bildungseinrichtungen.

Woher beziehen eurer Erfahrung nach die meisten Jugendlichen ihre Inspirationen/Anregungen für ihre Verschwörungsideen.

Mathias: Tatsächlich ist es erstaunlich, wie leicht es bereits jungen Mensch fällt, sich selbst eigene, teils sehr überzeugend wirkende Verschwörungserzählungen auszudenken.
Daran merken wir zum einen, welchen tief verankerten Mustern von „gutem Storytelling“ diese Erzählungen folgen. Jeder von uns ist ja durch Geschichten geprägt – oder „Narrative“ wie wir sie auch manchmal nennen. Dank all der Märchen, Bücher, Filme und nun eben auch Online-Stories, welchen wir im Laufe unseres Medien-Lebens so begegnen, entwickeln wir quasi ein Storytelling-Bauchgefühl. Genau hier docken Verschwörungserzählungen an: Um einprägsam und schlüssig zu wirken, folgen sie den universellen Rezepten spannender Geschichten!
Zum anderen sehen wir aber, dass viele junge Menschen bereits früh mit konkreten Verschwörungsmythen und deren oft extremistischen, menschenverachtenden Botschaften in Kontakt kommen. Das passiert vor allem in ihrer Online-Lebenswelt. Deshalb können diese fiktiven Verschwörungsstories eben auch leicht reproduziert werden. Bleiben sie dann unhinterfragt, können sie im Zweifel antidemokratische oder menschenfeindliche Haltungen verstärken – nicht nur von Jugendlichen. Genau dort setzt unsere Bildungsarbeit aufklärend an.

Diese Art der Inspiration … Wie stellt ihr sicher, dass sich keine ausgedachte Verschwörung „verselbstständigt“?

Mathias: Das ist eine sehr gute Frage! Wir haben im Vorfeld sehr intensiv darüber recherchiert, mit anderen Fachleuten gesprochen und diskutiert, wie wir das Projekt einerseits ansprechend und interessant gestalten, andererseits aber auch sicherstellen, dass wir nicht zum Teil des Problems werden. Unsere Entscheidung war, immer ganz klar authentisch und transparent zu bleiben und uns als das medienpädagogische Projekt zu präsentieren, das wir sind. Durch diesen Rahmen stellen wir sicher, dass sich keine zusätzlichen Fake-Stories verbreiten. Gleichzeitig versuchen wir aber dabei auch ganz deutlich zu machen, dass wir für Austausch offen sind. Wir möchten über die Geschichten mit dem Online-Publikum ins Gespräch kommen und dabei auch die größeren Themen anschneiden. Wodurch wird eine Verschwörung beispielsweise (un-)glaubhaft? Was ist Manipulation, was ist „Wahrheit“? Wer dazu mitdiskutieren möchte, ist herzlich auf unsere Social Media Profile eingeladen oder kann auf unserer Webseite vorbeischauen.