Die Peripherie des Extremismus auf YouTube | Ein explorativer Blick auf die Technik II

Im vorangegangenen Blogbeitrag haben die Autoren die Kanäle Macht’s Klick? und DMG e.V. in Hinblick auf Filmsemiotik, Technik und Schnitt betrachtet. In diesem Blogbeitrag wird diese Methodik auf weitere relevante Kanäle angewandt.

Marcel Krass

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Marcel Krass, der neben einem nach ihm benannten YouTube-Kanal auch diverse weitere Kanäle betreibt, tritt als „intellektueller Kumpel“ und Konvertit mit Mitteilungsbedürfnis auf. Der aus Münster stammende Redner kritisiert unter anderem die christlichen Religionen mit dem Ziel, seine Hörer*innen von einer salafistisch geprägten Interpretation des Islam zu überzeugen. In seinen Videos tritt Krass mitunter in einer Studioumgebung vor die Kamera, so z.B. in Warum Christ – Kapitel 1: Woran erkennt man die Wahrheit? (27.12.2015). Krass verwendet das Bildformat 1920 x 1080p (16:9) und sein Video spielt bei 29,97 Bildern pro Sekunde ab (von YouTube nur nominell auf 30 Bilder/Sek aufgerundet), was der amerikanischen NTSC-Norm entspricht. Weshalb Krass diese Norm verwendet ist unklar, womöglich möchte er eine möglichst hohe Bildrate erzeugen, in der Annahme, sanfte Bewegungsvorgänge aufzuzeichnen. Ob der Videoproduzent die Verschlussrate seiner Kamera berechnet, ist daher fraglich. Das Hauptaugenmerk legt der Produzent auf zwei klar bestimmbare Verfahren.

Zwei Verfahren

Beim ersten Verfahren handelt es sich um die Erstellung von Textmasken für Titelbilder und Namenseinblendungen im unteren Bilddrittel. Das in diesem Video verwendete Titelbild ist eine eher basale Textmaskenskalierung mit statischem „Lens Flare“, für welche lediglich Grundzüge der Textmaskierung und Animation benötigt werden. (Bereits kostengünstige Softwares ermöglichen Titelanimationen wie diese.) Im Hauptteil des Videos wird ein Logo sowie der Name des Redners eingeblendet, zudem wird Krass selbst als „Diplom-Ingenieur“ ausgewiesen. Gemeinsam mit dem legeren Auftritt des Redners dient dieses Verfahren zur Konstruktion einer bildhaften Lesart seiner Person: Kleidung und Berufstitel weisen Krass als modernen, seriösen Wissenschaftlertypus aus – „religiöse Seriosität im weltlichen Gewand“. Dem salafistisch geprägten Krass dienen diese Verfahren zur Produktion von Anschlussfähigkeit an ein breiteres Publikum.

Das zweite Verfahren ist das sogenannte „Chroma Keying“, welches zur Bearbeitung von Bildern mit Green-Screen-Umgebung dient. Dieses nutzt Krass offenbar mit entsprechenden Kenntnissen, wenn auch nicht auf professionellem Niveau. Einerseits lassen die Reflexionen im Augenäquator des Redners erkennen, dass eine frontale Ausleuchtung mit einem oder zwei Scheinwerfern stattfindet. Krass wirft dabei keinen Schatten in den hinter ihm liegenden Bildraum, was dafür sprechen könnte, dass er zusätzlich mit Backlight ausgeleuchtet wird. (Kosten für einen Green Screen im Format 3×5 Meter mit 2-3 Scheinwerfern: je nach Qualität 400-1.000€). Andererseits zeichnen sich an den abgebildeten Kopfhaaren Bildartefakte ab, die darauf hindeuten, dass einzelne Haare während des Green-Screen-Austauschs digital getilgt wurden. Als Ursache ist denkbar, dass die Software-Lösung des Produzenten eine fehlerfreie Übertragung nicht leisten konnte, dass die Ausleuchtung nicht hinreichend war, oder, dass der Bildsensor der Kamera bereits in diesem Detailbereich Unschärfen aufweist (was die Kamera im Preissegment unterhalb von 700€ verorten könnte).

Darstellung und Ton

Das Green-Screen-Verfahren ermöglicht dem Videoproduzenten Marcel Krass eine Platzierung von Raumobjekten (samt zugehöriger Konnotate): Im Hintergrund ist eine Szene mit Baum („Baum des Lebens / Wissens“) und Tempelruine („antikes Wissen und Sakralität“) zu sehen, die von Licht erhellt wird (Lichtmetapher für „Gott“). Krass ist bildlich zwischen diesen Objekten positioniert und steht so der Bildanordnung nach zwischen Religion und antikem Wissen – oder anders ausgedrückt: Marcel Krass schafft durch die Bildsprache einen Raum von religiöser Seriosität und geistigem Erbe. Während Marcel Krass technologisch und dem Einsatz filmischer Verfahren nach auf dem Niveau eines Privatanwenders zu verorten ist, versucht er, seine rhetorische Kompetenz zusätzlich in der Bildkomposition auszuspielen und stellt sich dadurch nach außen ausdrücklich als Exponent beider Welten dar. Ferner stützt der Produzent sich auf Keying-Verfahren, wenn er bei 5 Min 22 Sek in der oberen linken Bildecke einige fallende Würfel als Symbol fallender Entscheidungen einblendet. Die hohe Opazität dieser Einblendung spricht dafür, dass der Produzent keine saubere Maske aus dem vorliegenden Videomaterial ziehen konnte, womöglich handelt es sich also um angeeignetes Videomaterial, dass in geringer Qualität vorgelegen haben mag.

Auch in puncto Tonabnahme operiert Krass nicht fehlerfrei. Hier nur das Auffälligste: Die Tonspur weist hörbar Klangartefakte seines Ansteckmikrofons auf, welches der Sennheiser EW- oder EK-Reihe angehören könnte (je nach Ausführung 300-600€). Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass der Medienproduzent Marcel Krass (bzw. die Personen, die Marcel Krass den hier betrachteten Auftritt medial ermöglichen) für seine Gerätschaften die 1000€-Grenze nicht überschritten haben muss. In den meisten Fällen werden die Kosten klar darunterliegen, wenn sie sich nicht sogar im Bereich von 500-800€ bewegen, was die Medientechnik eher auf dem Anfängerniveau verortet.

Generation Islam

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Generation Islam ist ein YouTube-Kanal, der im hippen Look daherkommt und mit seinen Hauptnarrativen die Kernfragen des Islam anspricht. Deutlich unterscheidet Generation Islam sich dadurch von anderen Kanälen, dass seine Inhalte sich auf das aktuelle Geschehen (Politik, Wissenschaft, etc.) beziehen. Religiös steht der Kanal Hizb-ut-Tahrir nah und wurde zeitweise vom Verfassungsschutz beobachtet, wohl nicht zuletzt, weil die Organisatoren im Jahr 2018 die Aktion „nicht ohne mein Kopftuch“ ins Leben rief. Diese enorme Wirkungsfähigkeit mag sich zumindest teilweise aus der medialen und technischen Versiertheit der Produzenten ableiten, die ihnen die Kommunikation von Ideologie durch eingängige Designs, thematische Anbindung an öffentliche Diskurse und vergleichsweise hohe Ansprüche an die eigene Medientechnik ermöglichen soll.

Bereits anhand eines oberflächlichen Blicks auf Videos wie Kindererziehung war noch nie so einfach (4.10.2019) lässt sich schnell erkennen, dass es auch Generation Islam um die Aneignung aktueller Medientechnologie des Einzelhandels geht. Das Video spielt in 4K-Auflösung, was für eine DSLR- oder DV-Kamera mindestens aus dem höheren Fortgeschrittenen-Segment sprechen könnte (ab 1.000€, z.B. Canon EOS 90D oder 5D, um nur zwei Beispiele zu nennen). Es ist durchsetzt mit hochauflösenden Ausschnitten aus z.B. Hollywood-Filmen und weist Textmasken mit Designelementen auf (beides möglich durch die Codecs bzw. Textfunktionen von vollwertiger Software wie Adobe Premiere; monatliches Abo der Adobe Creative Cloud: 35-50€). Schon durch dieses Verfahren versucht der Videoproduzent seinen eigenen ideologischen Diskurs formal an den Kinofilm anzupassen, sich in Zeiten von HD ein cineastisches Bildformat anzueignen und im Gegenzug von dessen Imposanz zu profitieren. (Im Bereich der radikalislamistischen Medienarbeit ist es nicht unbedingt unüblich, die eigene ideologische Kommunikation auf Kosten von Hollywood-Bildformaten und -Verfahren aufwerten zu wollen.) Das Ansteckmikrofon, das der Redner trägt, lässt vermuten, dass es sich um ein Sennheiser-Modell in der vom Hersteller beworbenen Broadcast-Qualität handelt (s. z.B. sennheiser.com). Die Szene, die hier zu sehen ist, scheint gut ausgeleuchtet, wohl mit einer Zweipunktausleuchtung. Setting, Sprache und Auswahl der gezeigten „Fremd-Medien“ lassen eine intendierte Lesart des Videos als zeitgemäß und „Social-Media-Trendy“ erkennen.

Handhabungsfehler

Was aber an der Oberfläche einen gewissen Glanz vorgibt, weist im Detail doch Handhabungsfehler auf. So ist zwar die halbnahe Einstellungsgröße, in welcher der Redner zu sehen ist, scheinbar sauber fokussiert. Jedoch ist aus den Cut Ins (vgl. Macht’s Klick?), die offenbar aus der Halbnahaufnahme skaliert wurden, zu erahnen, dass der Fokusbereich falsch gesetzt ist. So sind die Knie des sitzenden Redners in den näheren Aufnahmen klar fokussiert, während sein Gesicht vergleichsweise unscharf scheint. Als Ursache ist denkbar, dass der Fokus von Hand falsch gesetzt wurde, der Autofokus im falschen Bildviertel oder -neuntel gesetzt wurde, oder auch, dass das Display der Kamera zur Live-Kontrolle der Aufnahme nicht groß genug ist, um Schärfedetails für den Kamera-Anwender abzubilden. Ein zusätzliches Controlling des Aufnahmebilds durch einen externen Monitor (Kosten für Monitore mit großen Bildabmessungen gehen schnell in den vierstelligen Bereich) wird der Kamera-Anwender von Generation Islam also nicht vorgenommen haben. Während der Schattenfall des Redners darauf hindeutet, dass mit dem elektrischen Licht des Raumes gearbeitet wird, deuten Lichtreflexionen in seinen Augen darauf hin, dass tatsächlich zwei Scheinwerfer frontal positioniert sein könnten. Über das Modell lässt sich keine Aussage treffen, möglich ist aber, dass bereits günstige Film- oder Theaterscheinwerfer zum Einsatz kommen (z.B. der Marke Neewer oder ähnliche aus dem unteren dreistelligen Bereich). Insgesamt kommt Generation Islam also mit wenig Medientechnologie aus, investiert jedoch hinsichtlich der verwendeten Kamera in vergleichsweise hochwertige Einzelhandelsangebote.

Unter dieser Voraussetzung versucht Generation Islam sich filmisch vielseitig aufzustellen, wie z.B. ein Blick auf Denk‘ Nach! Folge 1 (26.6.2017) zeigt. Dieses Video ist zwar lediglich in 720p produziert, besteht dafür jedoch ausschließlich aus Animationen. Qualitativ sind die Animationen eher basal und lassen zumindest Wissen über die Grundzüge der Animation erkennen. (Besonders die Lippenbewegungen der Figuren sind aber mangelhaft auf die Tonspur abgestimmt.) Womöglich wurde die Tonspur während der Produktion mehrfach angepasst und die Animation von Mündern, die allgemein zeitintensiv ist (es müssen zahllose Animationsphasen erstellt werden), mag zu aufwendig gewesen sein, um Lippensynchronität herzustellen. Die Ästhetik der Figuren und Objekte erinnert sehr an Grundkurse für Adobe Character Animator (in Adobe Creative Cloud enthalten), die zahlreich auf YouTube zu finden sind. Die Klangdichte der Tonspur spricht dafür, dass ein Kondensatormikrofon genutzt worden sein könnte, sofern nicht etwa das zuvor beschriebene Ansteckmikrofon genutzt wurde. So ambitioniert Generation Islam sich in einigen Gebieten der Filmarbeit geben mag, es fehlt dem Produzenten vor allem an Detailtiefe und vermutlich auch Arbeitskraft. Generation Islam wird also zwar über eine (quasi-)professionelle Kamera aus dem DSLR- oder DV-Bereich verfügen, doch es bleibt fraglich, wieviel Arbeitsstunden die Gruppe tatsächlich aufwenden kann, um filmpraktische Details zu kontrollieren.

Botschaft des Islam

Botschaft des Islam ist mit 147.000 Abonnenten der derzeit größte Kanal in der Peripherie des Extremismus. Er publiziert informativ aufgemachte Videos zu allen Themen des Islams, darunter immer wieder Sünde, der richtige Weg zu leben und die islamische Heilsgeschichte. Zudem ist der Kanal sehr aktiv und bietet verschiedene Playlists unter Überschriften wie „Partnerwahl, Hochzeit und Familie“, „wahre Geschichten“ über „Weckrufe“ an. Vermutlich ist dieser Videoproduzent sehr stark aus dem Ausland beeinflusst, da sich anhand der Themen und Programmformate eine Nähe zu den beliebtesten Kanälen im Vereinten Königreich und den USA auffällt. Im Projekt ABAT wird er als Hybridkanal geführt.

Ein Interesse für das Thema „Jinns“, welches dieser Kanal pflegt, zeigt sich u.a. in Die Schöpfung der JINN (30.5.2015), das sich formal an den erprobten Prinzipien des Kanals ausrichtet. Der Vortrag wird als Voice Over eingesetzt und mit illustrierenden Bildern (angeeignetes Videomaterial) unterlegt. Zusätzlich wird das Videomaterial durch Vignetten („dunkle Ecken“) und Lichteffekte verfremdet und ästhetisch eingepasst und die Tonspur durch Vokalisengesänge und Sound Effects ergänzt, die die Stimmung weiter verdichten. Ferner nutzen die Produzenten das obere Bilddrittel für eine animierte Produzentenkennung mit Partikelanimation und das untere Bilddrittel für fortlaufende Untertitelung, die in der Produktion zeitlich aufwendig ausfallen kann, sodass eine schnelle Copy & Paste-Funktion vorliegen mag (denkbar also mit Adobe Premiere oder Final Cut erstellt). Während der Vokalisengesang und die Sound Effects die Stimmung verdichten (z.B. Blitze, Hits sowie das fortlaufende Sheppard-Risset-Glissando, wie es z.B. in von Hans Zimmer komponierten Filmmusiken zum Einsatz kommt; womöglich angeeignet oder Teil eines Sound Effects-Pakets, 150-500€), scheinen sie nicht etwa eine mangelnde Tonqualität zu überdecken. Der Ton der Voice-Aufnahme ist „voll und rund“, es gibt keine unnatürlichen Lautstärkespitzen bei stimmlosen Plosivlauten. Es liegt also nahe, dass die Creators über ein Kondensatormikrofon mit Popschutz verfügen (mit Geräten wie z.B. der Marke Technika bereits im Bereich von 300-500€ möglich). Zudem scheinen sie in der Lage zu sein, den Ton auszusteuern, der Lautstärke nach zu normalisieren und ihn mit Halleffekten zu erweitern.  Eine spezielle Software (z.B. Samplitude oder ein kompatibles Programm der Adobe-Produktfamilie, 25-60€) könnte vorliegen.

STARMOON Islam

Ein „Actionkanal“ mit Untergangsstimmung. Die Lieblingsthemen der Produzenten sind Apokalypse, Heilsgeschichte und vor allem: Jinns. Das Vorgehen islamistischer Interessengruppen, die ihre Ideologie auf Kosten von „Hollywood-Techniken“ aufzuwerten suchen, wird hier auf eine andere Weise als etwa bei Generation Islam verfolgt. Waren es dort das Bildformat und angeeignete Spielfilm-Clips, so strebt STARMOON Islam eine Ästhetik mit epischer Tragweite an. Diese wird weniger durch das Bildformat (720p)  erzielt, wie es etwa bei Generation Islam der Fall ist, als vielmehr durch eine visuell imposante Motivik, krachende Sound Effects, sakralisierende Vokalisen sowie einen abgegrenzten Kreis von Visual Effects. Eingerahmt werden diese Verfahren durch „Hollywood-Trailer-Stimmen“ als Voice Over eingerahmt. Doch wie hochwertig ist die Technik hinter diesen Verfahren, z.B. in dem Video Der Jinn Krieg (22.10.2017)?

Zunächst zur Motivik: Diverse Magie entfesselnde, monströse Wesen von geradezu mythischer Größe tragen Kämpfe in nicht minder geheimnisträchtigen Landschaften oder auch im Weltall aus, doch bereits eine kurze Recherche ergibt, dass es sich auch hier um angeeignetes Videomaterial handelt. Die Produzenten fertigen die verwendeten Animationen nicht selbst an, sondern verwenden Ausschnitte aus dem Spiel StarCraft II: Wings of Liberty sowie dem Nicholas Cage-Film Knowing – Die Zukunft endet jetzt (2009). Das Videomaterial wird durch das kontextstiftende Voice Over funktionalisiert und dient allein der Illustration der gesprochenen Worte. Die Kosten für das Videomaterial mögen in Zeiten von Video-Downloadern und Desktop-Recordern gleich null ausfallen. Interessanterweise verwendet das Video lediglich eine Auflösung von 720p, nicht etwa 1080p, was StarCraft II leisten könnte. Klare Rückschlüsse lässt dies nicht zu, es ließe sich jedoch spekulieren, ob das Videomaterial zwar in 1080p besorgt wurde, jedoch durch ein Download-Tool nur in bereits komprimierter Fassung vorlag, sodass die geringere Auflösung einen Qualitätsverlust durch erneute Komprimierung ausgleichen soll.

Was die Sound Effects im Video angeht, so ist das Streben zur Hollywood-Imposanz bereits in der Produzentenkennung ganz zu Beginn des Videos deutlich. Unterlegt mit dem von Hans Zimmer entwickelten Braaam!-Sound sowie Motion Pulse-Effekten tragen die Produzenten Konnotationen von rascher Bewegung, Einschlägen und Ankündigungen der Todesgewissheit in die Klanglandschaft des Videos. (Nicht uninteressanterweise handelt es sich um die selben Effekte, die 2017 in einem viel kursierten Anwerbevideo einer syrischen Gruppierung in ähnlicher Kombination auftraten. Entsprechende Sound-Archive können schnell mit mehreren hundert Euro zu Buche schlagen, sofern sie legal besorgt werden.) Wie breit das Feld von Konnotationen in diesem Video aufgestellt ist, wird deutlich, wenn man das ästhetische Design der Titelanimation bzw. der fortlaufenden Feueranimationen hinzuzieht. Funkenflug (technisch gesehen eine Partikelanimation, z.B. Adobe After EffectsFinal Cut Pro X) verweist auf Feuer und trägt so Assoziationen von Schlachten und Zerstörungen epischen Ausmaßes in die Bedeutungskomposition des Videos. Eine zusätzliche Funktion der Verfremdung durch Visual Effects liegt im rechtlichen Bereich: Durch Verfremdung stellen die Produzenten eigenständig wirkende Produktionen her und schützen so ihre Videos vor der „Zensur“ durch YouTube. Stets anonym setzt dieser Kanal auf einen „epischen Geschichtenerzähler“ als Voice Over und interessanterweise gleichen einige Videoproduktionen jenen von Botschaft des Islam gemessen an den filmischen Verfahren sehr stark.

Lorans Yusuf

Gemessen an Abonnentenzahlen ist Lorans Yusuf der immerhin drittgrößte Kanal in der Peripherie des Extremismus, obwohl seine stets anonym angefertigten Videos zumeist nur aus einem Voice Over zu illustrierenden Bildern besteht. Themen wie islamische Heilsgeschichte, Traumdeutungen, die Altvorderen, „richtiges“ Islamisches Leben und Koranrezitationen sind an der Tagesordnung. Formal knüpft auch dieser Kanal an ein HD-Standard an (1080p HD, 16:9). Das Formprinzip der Videos: Weiche Blenden für Standbilder, die z.B. religiöse Frömmigkeit, Erleuchtungsmetaphern und die Unterdrückung von Muslim*innen illustrieren (sehr heterogenes Bildmaterial, das wahrscheinlich durch Internetsuchen angeeignet wurde), darüber Partikelfluganimationen, die eine Lichtmetapher eröffnen (möglich erneut mit z.B. Adobe PremiereFinal Cut). Gerahmt wird das Ganze vom Voice Over, das den zentralen Arbeitsbereich des Produzenten darstellen muss. So auch in Die PRÜFUNGEN, die nicht aufhören… (10.11.2019), in welchem der emphatische Vortrag des Sprechers den thematischen Deutungskontext der Bilder bereitstellt.

Die Qualität der Tonaufnahme lässt nur wenige Rückschlüsse auf die verwendeten Geräte zu. Belegbar ist jedoch, dass der Produzent seinen Vortrag nicht fehlerfrei von Anfang bis Ende aufnimmt, da es hörbare Tonschnitte in der Tonspur gibt. Auch verwendet der Produzent für den Tonschnitt offenbar keine Auf- und Abblenden, was weiterhin belegt, dass er die Funktion seines Schnittprogramms nicht nutzt oder nicht kennt. Auch ist die Klangqualität nicht „voll“ oder „rund“, sondern lässt den Nachhall eines geschlossenen Raumes erkennen, d.h. die Qualität wurde vermutlich nicht nachbearbeitet. Das Voice Over wird also mit relativer Sicherheit nicht in einer Studioumgebung oder auch nur mit einem annähernd studiofähigen Mikrofon aufgenommen, sondern womöglich sogar nur mit dem Mikrofon eines Notebooks oder Smartphones. Durch den Einsatz eines Nashids (Vokalisengesang im Hintergrund) kann der Produzent zwar eine Konnotation von Sakralität an seinen Vortrag knüpfen, es gelingt ihm jedoch nicht, die mangelnde Tonqualität zu verdecken. Qualitativ passt dies zur eher unaufwändigen Aneignung von Bildern, d.h. in diesem Video spiegelt sich die Medienpraxis eines motivierten Laien und Heimanwenders ohne besondere finanzielle Mittel.

Fazit

Die beiden vorangegangenen Blogartikel zeigen deutlich, wie die Kanäle, auch ohne professionelle Technik oder Kenntnisse, eine sakrale Stimmung erzeugen und „sich ins richtige Licht“ rücken. Die Verbindung von Bild, Ton und Narrativ erzeugt so ein Gesamtbild, welches mit wenig (finanziellem) Aufwand eine große Masse an Menschen erreichen und im Zweifelsfall auch (unbewusst) beeinflussen kann.

Die Peripherie des Extremismus nutzt allerdings ganz bewusst und teils zielstrebig Mittel und Knowhow, die „für kleinere Beträge“ verfügbar sind. Zum Vergleich: Der Mindeststandard authentischer Hollywood-Kameras z.B. der Marke Arri liegt deutlich über 100.000 U.S. Dollar. Auch Independent-Film-Lösungen wie jene von Black Magic Design sind nicht für unter 25.000 U.S. Dollar zu erstehen. Technologisch verorten sich Videoproduzenten, die in diesen beiden Blog-Beiträgen stichwortartig untersucht wurden, somit weniger im Bereich „cineastischer“ Technologie, sondern mehr im Bereich von Gerätschaften, die in journalistischen Berufen zu Anwendung kommen bzw. die über den Einzelhandel bezogen werden können.

Dieser explorative Blick auf die Technik wurde von Yorck Beese ermöglicht, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter der Nachwuchsforscher*innengruppe Dschihadismus im Internet an der Universität Mainz (gefördert vom BMBF).

Über die Autoren

Yorck Beese M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Nachwuchsforscher*innengruppe Dschihadismus im Internet (BMBF). Seine Forschungsinteressen bestehen in den Bereichen der Filmsemiotik, Propagandaforschung und Kommunikation von Ideologie durch das Medium Film.

Till Baaken ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei modus|zad. Sein derzeitiger Arbeitsschwerpunkt liegt auf der Erforschung von Online (De-)Radikalisierung und von Prozessen individueller Distanzierung sowie im Monitoring der Peripherie des Extremismus Online. Till studierte in Berlin und London. Er ist Geschichtswissenschaftler und Ethnologe (B.A.) und Sozialwissenschaftler mit Fokus auf Terrorismus- und Sicherheitsstudien (M.A. Terrorism, Security & Society).

Neben seiner Tätigkeit für modus|zad ist Till Associate Fellow beim Global Network on Extremism and Technology (GNET) sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Violence Prevention Network. Er twittert unter @tillbaaken.