TikTok-Monitoring im Phänomenbereich türkischer Ultranationalismus

Im Projekt „TREX – Transnationale rechtsextreme und ultranationalistische Bewegungen in (post)migrantischen Gesellschaften“ werden aktuelle Entwicklungen und Aktivitäten relevanter Akteur*innen auf Social Media durch kontinuierliches Monitoring beobachtet und die Ergebnisse für die Praxis aufbereitet. Die Akteur*innen sind weder dem klassischen Verständnis von religiös begründetem Extremismus noch dem (deutschen) Rechtsextremismus zuzuordnen – und bilden eine wichtige und wenig beachtete Forschungsdomäne.

In einer dreiteiligen Blogpost-Reihe wird das Monitoring im Projektkontext TREX begleitet, um wichtige Erkenntnisse des Projekts zu teilen. Der erste Post gibt Einblicke in die Methodik des TikTok-Monitorings und erläutert erste Herausforderungen, die sich dabei im Phänomenbereich türkischer Ultranationalismus ergeben.

Mit dem Aufkommen Sozialer Netzwerke ist zu beobachten, dass rechtsextreme Akteur*innen sich auf den Plattformen strategisch bewegen[i]. Ein zentrales Ziel, das sie dabei verfolgen, ist das Rekrutieren neue Mitglieder oder Sympathisant*innen. Dabei passen die Akteur*innen ihre Strategien und Narrative genau auf die Zielgruppe und die Dynamik der jeweiligen Plattform an. Auf der visuell ausgerichteten Plattform Instagram zeigen sich rechte Hassbotschaften beispielsweise besonders häufig in Form von visuellen Elementen (z.B Memes).[ii]

Da Akteur*innen des türkischen Ultranationalismus die gleichen Ziele verfolgen, liegt analog zu dem Vorgehen der rechten Szene die Annahme nahe, dass auch Akteur*innen des türkischen Ultranationalismus auf Sozialen Netzwerken ähnliche Strategien nutzen. Dieser Hypothese geht das Projekt TREX durch ein Social-Media-Monitoring explorativ nach. Der transnationale Charakter der Szene spielt hier eine zentrale Rolle, da Akteur*innen sich auch über Landesgrenzen hinweg vernetzen.[iii]

Der Fokus des TREX Social-Media-Monitorings liegt hauptsächlich auf audio-visuellen Plattformen wie Instagram und TikTok, jedoch spielt auch Telegram eine Rolle. Vor allem das TikTok-Monitoring stellt eine Herausforderung dar, da es bislang nur wenige Beispielstudien gibt, welche trotz geringer Anzahl ein solides methodisches Fundament legen. Im Kontext dieses und anderen Projekten baut modus|zad methodisch auf den Vorgehensweisen von Open Source Intelligence (OSINT) Praktiken[iv] und vorherigen Studien[v] auf.

Wie findet Monitoring auf TikTok statt? – Think like a Local!

Für das TikTok-Monitoring sind vier Vorgänge zentral: (1) einen Einstiegspunkt finden, (2) Snowballing-Methode, (3) Informationen archivieren, und (4) weitere Indikatoren sammeln.

(1) Einen Einstiegspunkt finden

Um die Grundlage für das Monitoring auf Plattformen wie TikTok zu schaffen, ist es wichtig, sich mit den Accounts, die im Rahmen des Projekts angelegt wurden, in eine Nutzer*innenperspektive zu begeben. Vorgeschlagene Inhalte werden auf der „For You Page“ algorithmisch für die jeweilige Person kuratiert und individualisiert ausgespielt. So lassen sich über szenenrelevante Stichwörter, Influencer*innen und Hashtags über die TikTok-eigene Suchleiste suchen, um relevante Inhalte aufzuspüren. Genau diese Eingangspunkte zu finden, stellt die größte Hürde dar. Unterstützend werden vorhandene Studien, Expert*inneninterviews, Blogposts und andere Abhandlungen über den zu erforschenden Phänomenbereich, in diesem Falle dem türkischen Ultranationalismus, herangezogen, die in dem Kontext bereits Indikatoren wie genutzte Hashtags, Sounds, Locations oder andere visuelle Sprache wie Emojis identifiziert haben.

(2) Snowballing-Methode

Sobald ein Einstiegspunkt in das Milieu gefunden wurde, kann eine Snowballing-Methode genutzt werden. Was bedeutet das im nächsten Schritt? Ausgehend von als relevant identifizierten Akteur*innen oder Inhalten lassen sich verlinkte Sounds, verwendete Hashtags, Follower*innen- und Following-Listen sowie Kommentarspalten nutzen, um weitere Inhalte zu erschließen. Auf TikTok fungieren die Sounds beispielsweise als Verknüpfung zu extremen Inhalten eines Milieus. Bei regelmäßiger und wiederholter Nutzung von Sounds und Hashtags auf einem Tik-Tok-Account spült der Algorithmus irgendwann ähnliche Inhalte auf die „For You Page“.

(3) Informationen archivieren

Da das Monitoring für TikTok primär auf der App stattfindet, muss Nachvollziehbarkeit für Außenstehende gewährleistet werden. Im Sinne einer sauberen Methodik wird im Projekt dokumentiert, auf welchem Wege (z. B. via welchen Hashtags oder Sounds) Inhalte aufgefunden wurden. Da Akteur*innen, Sounds oder Inhalte auf TikTok bisweilen gesperrt werden, wenn sie gegen Community-Richtlinien verstoßen, werden die Inhalte, die im Rahmen des Monitorings erschlossen werden, so schnell wie möglich gespeichert und per Screenshot gesichert, sodass Informationen lückenlos erfasst werden.

(4) Weitere Indikatoren

Im Laufe der Recherche können kontinuierlich neue Indikatoren ausgemacht werden, die zu anderen relevanten Inhalten führen. All diese Elemente verknüpfen die Inhalte eines Milieus miteinander und spiegeln die (visuelle) Sprache dessen wider.

Diese vier Vorgänge bilden das Grundgerüst des TikTok-Monitorings bei modus|zad und im Projektkontext TREX. Das Ganze bildet ein zyklisches Vorgehen, das je nach den Herausforderungen des Phänomenbereichs induktiv angepasst wird. Bei TREX wurden bereits die folgenden drei Herausforderungen identifiziert.

Herausforderungen des TikTok-Monitorings von türkischem Ultranationalismus

  1. Ob sich Akteur*innen in Deutschland oder in der Türkei aufhalten, bleibt oft unklar. Der Grund hierfür ist, dass die verwendete Sprache, Begriffe, Symbole, etc. in beiden Länderkontexten identisch sind. TikTok liefert keine klärenden Metadaten.
  2. Inhalte und Akteur*innen zu identifizieren, die sich ausschließlich mit türkischem Ultranationalismus beschäftigen, ist kaum möglich. Oftmals überschneidet sich diese Thematik mit Inhalten zu z.B. Islam und/oder Recep Tayyip Erdogan.
  3. Bestimmte Indikatoren, die bereits bei Akteur*innen des Phänomenbereichs identifiziert wurden, wie das Wolfsymbol oder der Wolfsgruß, verweisen nicht zwangsläufig bei ihrer Nutzung auf türkischen Ultranationalismus.

Diese Eigenheiten und thematischen Verknüpfungen stellen zwar eine Herausforderung für das Monitoring dar, stellen jedoch zugleich auch wichtige Erkenntnisse dar, die Grundlage dafür sind, die Narrative und Strategien des Milieus zu verstehen. Nachdem dieser Blogpost die methodische Grundlage des TREX-TikTok-Monitorings abgebildet hat, werden im nächsten Blogpost darauf aufbauend die ersten Erkenntnisse des Projekts dargestellt.

Das Projekt TREX wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.

[i] Schwarz, Karolin. 2020. Hasskrieger: Der Neue Globale Rechtsextremismus. Verlag Herder GmbH.

[ii] Correctiv. 2020. ‘Kein Filter für Rechts’. correctiv.org (blog). 2020. https://correctiv.org/top-stories/2020/10/06/kein-filter-fuer-rechts-instagram-rechtsextremismus-frauen-der-rechten-szene/?lang=de.

[iii] Schwarz, Karolin. 2020. Hasskrieger: Der Neue Globale Rechtsextremismus. Verlag Herder GmbH.

[iv] Mossou, Annique. 2020. ‘Investigate TikTok Like A Pro!’ Bellingcat (blog). 2020. https://www.bellingcat.com/resources/2020/05/25/investigate-tiktok-like-a-pro/. & O’Connor, Ciarán. 2022. ‘How to Investigate TikTok Like a Pro – Part II: Using TikTok for Ukraine Research’. Bellingcat (blog). 2022. https://www.bellingcat.com/resources/how-tos/2022/11/02/how-to-investigate-tiktok-using-tiktok-ukraine-research/.

[v] O’Connor, Ciarán. 2021. ‘Hatescape: An In-Depth Analysis of Extremism and Hate Speech on TikTok’. Institute for Strategic Dialogue. https://www.isdglobal.org/isd-publications/hatescape-an-in-depth-analysis-of-extremism-and-hate-speech-on-tiktok/