Das Projekt KorRex | Anlass und Vorgehen
Ein Beitrag von Till Baaken, 10.11.2020Inwiefern und wie genau sich die „Creators“ deutschsprachiger YouTube-Videos von ihren englischsprachigen Counterparts inspirieren lassen, ist eine bislang noch unbeantwortete Frage. Dies gilt besonders für diejenigen, die radikale oder extremistische Inhalte über das Medium verbreiten. Konkrete Fragen, die in diesem Zusammenhang beschäftigen, sind: Gibt es transnationale Transfers, analog zur Serien-, Film-, und Popkultur? Werden z.B. Kampagnen und Narrative zu bestimmten Ereignissen übernommen? Oder inspiriert die Bildsprache der oftmals „professioneller“ wirkenden englischsprachigen Videos auch deutschsprachige Formate?
Mit dem Projekt KorRex wollen wir eine erste Grundlage zur Beantwortung dieser Fragen mit Blick auf eine deutschsprachige Peripherie des religiös begründeten Extremismus, wie wir sie bereits im Projekt ABAT erschlossen haben, und einem ähnlich gelagerten englischsprachigen Raum schaffen. Dieselbe Methodik anwendend, kartographieren wir zunächst beide „Räume“ die aus Kanälen mit dem Themenschwerpunkt „Islam“ bestehen und in denen sich z.B. salafistische bzw. islamistische Angebote finden lassen. Dieses „Mapping“ erlaubt es zunächst nach einfachen, zeitversetzten Korrelationen zwischen den beiden Sprachräumen zu suchen. Sind diese zu finden, eröffnet sich in einem zweiten Schritt die Möglichkeit, Präventionsangebote im deutschsprachigen Raum sinnvoll anzupassen. Sollten die deutschsprachige Creators tatsächlich, wie angenommen, Inspiration für Formate und Themensetzung aus englischsprachigen Kanälen/Videos beziehen und diese zeitversetzt aufgreifen bzw. verarbeiten, dann wäre eine Art „Frühwarnsystem“ für Teilaspekte des deutschsprachigen Diskurses bzw. der genutzten YouTube-Formate als Unterstützung für die Produktion von Präventionscontent denkbar.
Der erste Verdacht
Im Projekt ABAT wurden YouTube-Kanäle in einer quantitativen Analyse mithilfe einer Netzwerkkarte und nachfolgender Auswertung verschiedener Typen und Formate analysiert. Hierfür wurde eine Datenbank angelegt, welche kontinuierlich Videolinks, Videobeschreibungen und -transkripte sowie quantitative Daten scraped, um eine breite Auswertungsbasis zu ermöglichen.[1] Bei den gleichzeitig laufenden qualitativen Analysen der einzelnen Kanäle und der Analyse der Querverbindungen in der Netzwerkkarte fielen uns immer wieder überproportionale Bezüge zu englischsprachigen Kanälen auf. Diese Parallelen lassen sich über verschiedene Kriterien, wie z.B. die gewählten Themen, die Musik, das Format oder den Zeitpunkt der Online-Stellung von Videos und Kanälen, erkennen.
Ein erstes Beispiel: Bei Videos, die wir im Projekt ABAT als epische Geschichtenerzähler typologisierten, fällt auf, dass die Bildsprache als Format stark an die des Kanals „MercifulServant“ aus dem Vereinigten Königreich angelehnt ist. Sowohl die Einblendung des Kanals zu Beginn des Videos, als auch die dunkle Stimme, die an „Hollywood Trailer“ erinnert und die epischen Naturbilder oder düsteren Szenen aus Computerspielen, werden von deutschsprachigen Kanälen kopiert. „MercifulServant“ besteht bereits seit 2010 und verzeichnet bis heute über 435 Millionen Aufrufe. Insgesamt hat der Kanal über 2,3 Millionen Abonnements und die Videos werden mit 200.000 bis 2,3 Millionen Ansichten pro Clip stark rezipiert. Der deutschsprachige Kanal „Starmoon Islam“ kopiert das Format von „MercifulServant“ und besteht seit 2012, hat 2,6 Millionen Aufrufe und 24.800 Abonnements, der Kanal „Lorans Yusuf“, ebenfalls deutschsprachig und inspiriert von „MercifulServant“, besteht seit 2014 mit 8,5 Millionen Aufrufen und 50.700 Abonnements. Auch inhaltlich scheinen sich die beiden deutschsprachigen Beispiele auf den englischsprachigen Kanal zu beziehen, so zum Beispiel bei der Themenreihe des Kanals „Starmoon Islam“, die das Thema „Dschinn“ behandelt. Hier verweist der Creator in der Videobeschreibung sogar direkt auf die thematische Inspiration durch „MercifulServant“ hin.
Warum YouTube?
Wir konzentrieren uns im Rahmen von KorRex zunächst auf YouTube-Kanäle, da über diese, neben den mit ihnen verbundenen Webseiten, die meisten für die Öffentlichkeit verfügbaren Informationen publiziert werden. Hier finden die oberflächlichen Diskurse statt, die dazu dienen, ein Weltbild zu framen und Kontakt zu potentiell interessierten Personen, die bislang aber keine Verbindung zur extremistischen Szene haben, herzustellen. Es ist keine exklusive, abgeschlossene Ebene (wie zum Beispiel auf Telegram oder im Darknet), sondern leicht zugänglich und somit für Jugendliche ein möglicher Einstieg. Durch die Präsenz auf der größten Bewegt-Bild-Plattform der Welt sind die Inhalte allgegenwärtig und bieten ein niedrigschwelliges, schnell auffindbares Informationsangebot. YouTube-Kanäle und Webseiten sind daher auch die informativsten Orte im Netz, um Akteur*innen qualitativ zu bewerten sowie theologisch und ideologisch einzuordnen. Während in geschlossenen Telegram- und WhatsApp-Gruppen, aber auch auf anderen geschlossenen Kanälen, ein reger Informationsaustausch der Akteur*innen stattfindet, liegen diese aus vier Gründen nicht im Hauptinteresse der Studie:
- Die Kanäle auf YouTube sind für alle Interessierten sichtbar und dienen so als ein möglicher und wahrscheinlicher Einstieg in die Peripherie. Sie sind daher für die Prävention besonders relevant, da hier potentiell entgegengewirkt werden kann. Die Funktionsmechanismen müssen daher besser verstanden werden.
- Ein Zugang zu den geschlossenen Räumen im digitalen Raum ist nur begrenzt möglich, bringt eine Fülle von moralischen und ethischen Fragen mit sich und stellt eine denkbare Verzerrung dar, da eine Erfassung aller geschlossenen Kanäle unmöglich ist.
- Während die geschlossenen Räume gerade im Hinblick auf die Radikalisierung von Jugendlichen eine Rolle spielen können, ist durch vorangegangene Studien in diesen Räumen davon auszugehen, dass sich die Jugendlichen hier bereits tiefer im Radikalisierungsprozess befinden.[2] Daher sind sie für das Projekt KorRex nicht relevant.
- Je nach geschlossenem Raum werden die Intentionen der Creators mit der Perzeption der Inhalte bei den User*innen vermischt. Dies ist bei YouTube-Videos nicht der Fall. Durch die Aufteilung Video (erstellt mit Intentionen der Creators) und Kommentare (Perzeption der User*innen) sind klar definierte Beobachtungsräume gegeben.
Eine weitere Verortung der YouTube-Kanäle im Gesamtkonzert Social Media und Internet ist trotzdem grundsätzlich sinnvoll und dringend notwendig. So werden Instagram, Facebook oder Soundcloud von den Betreibern der erfassten YouTube-Kanäle gerne genutzt. Über die dort distribuierten Inhalte läuft ebenfalls, wie auf YouTube, eine lebhafte Debatte unter User*innen. Im Rahmen von KorRex kann eine solche Analyse leider nicht geleistet werden. Im Projekt werden also höchstens themenbezogen auch plattformübergreifende Stichproben gezogen.
Im nächsten Blogbeitrag werden wir aber zunächst die ersten Kontaktpunkte der Peripherie des Extremismus in Deutschland mit englischsprachigen Kanälen identifizieren und einen allgemeinen Einblick in den englischsprachigen Raum geben.
[1] „Scrapen“ ist eine Vorgehensweise, bei welcher automatisierte, durch in diesem Fall mit der Programmiersprache Python erstellte Skripte eigenständig täglich die neusten relevanten Informationen von der Plattform YouTube heruntergeladen und in eine MySQL Datenbank hinterlegt werden. Diese kann dann durch Abfragen gezielt durchsucht und bearbeitet werden.
[2] Till Baaken und Linda Schlegel, “Fishermen or Swarm Dynamics? Should We Understand Jihadist Online-Radicalization as a Top-Down or Bottom-Up Process ?,” Journal for Deradicalization, no. 13 (2017): 178–212; Nikita Malik, Terror in the Dark: How Terrorists Use Encryption, the Darknet, and Cryptocurrencies (The Henry Jackson Society, 2018), 17; Bundesministerium des Inneren für Bau und Heimat, “Verfassungsschutzbericht 2018” (Berlin, 2018).